FRAC Alsace

Phénomènes

03.02–27.05.2018
balthasar burkhard, damien cadio, marc couturier, edith dekyndt, jan fabre, adrien missika, richard monnier, carsten nicolai, pierre savatier, nathalie talec, cy twombly.

Präsentation

Das Rauschen des Windes, ein Flügelschlag, vibrierende Oberflächen, ein schillernder Panzer, Sonnenstrahlen — Kraft und Fragilität der Natur. Etwas zeigt sich, erscheint, wird wahrnehmbar, im Großen wie im Kleinen.

Phänomene können spektakulär sein, ganze Wissenschaftszweige beschäftigen, aber sie können auch ganz nebensächlich sein, alltägliche, scheinbar banale Formen der Natur, die uns faszinieren, wenn wir uns auf einen Prozess der Beobachtung einlassen. Erst durch die Sinne wird uns die Welt zugänglich. Indem wir Erscheinungen, Formen, Materie bewusst wahrnehmen, können wir zum Wesen der Dinge, zur Essenz, vordringen. „Das Absolute soll nicht begriffen, sondern gefühlt und angeschaut […] werden“ schreibt Hegel in der Phänomenologie des Geistes (1807).

Phänomene (altgriech fainómenon : ein sich Zeigendes, Erscheinendes), sinnlich wahrnehmbare Gegenstände oder Ereignisse, ermöglichen uns einen Zugang zur Welt, sie sind Repräsentationen des nicht fassbaren „Ding an sich“ (Kant), das der Erkenntnis und dem Erleben unzugänglich ist.

Wie reflektieren KünstlerInnen die natürliche Umgebung und ihre großen und kleinen Phänomene und welcher Methoden und Materialien bedienen sie sich, um, jenseits romantischer Naturvorstellungen und Projektionen, in der Kunst eigene Naturen zu schaffen? Und wie kann die Betrachtung von Kunst wiederum unseren eigenen Blick auf die Umgebung verändern?

Die Werke aus der Sammlung laden zur Beobachtung ein, zum Nachdenken über Erscheinungsformen der Natur und ihr Abbild, aber auch über formale, künstlerische Entscheidungen und Ästhetik (griech. aísthēsis: Wahrnehmung, Empfindung).

Die Ausstellung zeigt einen persönlichen Blick auf die Sammlung, mit einem besonderen Interesse für Materialität, Herstellungsprozess und Maßstab – Eigenschaften, die das Kunstwerk von seiner virtuellen Reproduktion auf dem Bildschirm abgrenzen und die uns ästhetische Erfahrungen ermöglichen. Versammelt sind 10 Werke des Frac Alsace und eine Arbeit aus der Sammlung des Frac Champagne-Ardenne (Carsten Nicolai). Die Arbeiten, die zwischen 1983 und 2013 erworben wurden, repräsentieren die Breite der in der Sammlung vertretenen Gattungen (Fotografie, Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Video, Skulptur/Objekt) und KünstlerInnen unterschiedlicher Generationen und Herkunftsregionen, die zum Teil interdisziplinär, an der Schnittstelle zu Theater, Musik, Performance und Naturwissenschaft agieren (Fabre, Talec, Missika, Nicolai).

Manche Arbeiten sind zentral im Schaffen des Künstlers (Couturier, Fabre, Missika, Savatier), andere hingegen zeigen weniger bekannte Seiten des Gesamtwerkes (Twombly, Talec, Dekyndt).

Neugier und Forschungsdrang, aber zugleich auch Stille und Kontemplation, Beobachtung und Experiment, geleitet durch Intuition und künstlerische Erfahrung, sprechen aus den ausgewählten Kunstwerken.

Einige Künstler, wie Cy Twombly, der in der Nachfolge des amerikanischen abstrakten Expressionismus steht, sind inzwischen kunsthistorisch geworden und haben folgende Künstlergenerationen inspiriert. Cy Twomblys Serie Natural History Part I – Mushrooms versammelt in einer Verbindung aus Drucktechniken und Collage, botanische Illustrationen, Tabellen, Fotos, Beschriftungsetiketten, Farbskalen, Millimeterpapier und die charakteristischen Zeichnungen und das Gekritzel des Künstlers. Mythologische Geschichten, wie Leda und der Schwan werden zitiert, ebenso wie Formen der Natur, die sich der Mensch angeeignet hat. Phallusförmige Objekte erinnern an Raketen, und Pilzformen werden zu Atompilzen. Die Collagen wirken scheinbar lose assoziiert, zufällig zusammengestellt und sind doch sorgfältig komponiert. Ein pseudo-wissenschaftliches Universum öffnet sich, in dem Einflüsse aus Psychoanalyse und Primitivismus sichtbar werden und in dem sich Naturgeschichte mit Kulturgeschichte verbindet.

Zwischen Mikro- und Makrokosmos bewegen sich die Werke von Balthasar Burkhard und Pierre Savatier, analoge Fotografien, in denen Licht, Zeit und chemische Prozesse die Materialität konstruieren.

Wie groß ist eigentlich der Flügel eines Falken, mag man sich vor dem Werk Aile de Faucon von Balthasar Burkhard fragen. Die Arbeit vereint Monumentalität mit der Faszination für das Detail und macht die Fragilität und Perfektion der Natur sichtbar. Flügel, das sind kleine Wunder, zarte Objekte, die die Schwerkraft überwinden und in deren Federn sich Funktionalität und Schönheit vereinen.

Eine monochrome Landschaft mit Kratern erscheint in Pierre Savatiers Fotogramm, das auf den ersten Blick an wissenschaftliche Aufnahmen von Planeten und Monden erinnert. Der Titel Gouttes d‘eau (Wassertropfen) bricht diese Illusion und offenbart den Herstellungsprozess, der zum Inhalt der Arbeit wird. Fotogramme entstehen direkt auf dem lichtempfindlichen Fotopapier, ohne Fotoapparat. Beobachtung, Experiment und die Perfektionierung und Weiterentwicklung dieser Technik kennzeichnen das Schaffen des Künstlers.

Der Herstellungsprozess wird auch bei Richard Monniers Werk Fourmi-lion zum Thema der Arbeit. Die Form aus Sand und Glas wird nicht konzipiert und konstruiert, sondern sie ergibt sich aus dem Prozess der Entstehung. Die einfache, in der Natur vorkommende Kegelform, erinnert an Vulkane und evoziert das Feuer und die Kräfte, die beim Entstehen der Arbeit wirkten.

Marc Couturiers Arbeit konstituiert sich erst im Zusammenspiel von Raum und Betrachter. Die Arbeit spielt mit der Harmonie von Gegensätzen: bodenständiges, schweres Material wie Holz wird mit dünnem Blattgold überzogen. Transzendente Schwerelosigkeit kontrastiert mit Masse und Gravitation, Sichtbarkeit mit Nichtsichtbarkeit, Flüchtigkeit mit Präsenz. Inspiriert von den nur kurz sichtbaren, streifenförmigen Wolken bei Sonnenuntergang, ist bei dieser Arbeit auch die Geschwindigkeit der Herstellung, der ununterbrochene künstlerische Prozess wichtig.

In Nathalie Talecs Gemälde Tache solaire, das in der Ausstellung in Bezug zum Außenraum gesetzt wird, zeigt sich das Interesse der Künstlerin für Naturwissenschaft, Wetterphänomene und Temperatur. Talec, die in den verschiedensten Medien arbeitet, von Performance bis Architektur, setzt farbige Flecken in warmen Rot- und Gelbtönen auf die Leinwand, ungegenständlich und figurativ zugleich. Es sind Bilder, die uns durch naturwissenschaftliche Publikationen bekannt erscheinen, Phänomene, die wir nur aus weitester Ferne selbst beobachten können und die trotz ihrer Erforschung rätselhaft bleiben.

Auch Damien Cadios Gemälde zeigt einen Bildgegenstand, den wir nicht selbst beobachten können. In ihrer Präzision erinnert die Arbeit an hochauflösende medizinische Aufnahmen und bricht doch wieder mit dieser Illusion. Was wir zunächst als Adern, Gefäße und Fleisch wahrnehmen, wird zu Farbe, zu Linien, zu bewegten Flächen. Monumental vergrößert, isoliert und nur von einer Art Aureole umgeben, wirkt der Motor, der uns am Leben hält, wie ein Planet. Ähnlich wie bei Burkhard, zeigt sich hier, ganz ohne Romantik, monumental und detailliert zugleich, die Kraft und Verletzbarkeit des Lebens.

Die Faszination für lebende Materie, Körperlichkeit und Detailreichtum findet sich auch in der Arbeit von Jan Fabre. Eine vertikale Akkumulation von (toten) schillernden Juwelenkäfern, ein wiederkehrendes Bildmotiv des Künstlers, wird mit einem menschlichen Kreuzbein nach oben abgeschlossen. Käfer und Insekten, für Jan Fabre sind sie das Gedächtnis der Erde, Spezies, die lange vor dem Menschen hier lebten, klein und anpassungsfähig. Verwandlung ist ein essentielles Thema bei Jan Fabre, der sich interdisziplinär, als bildender Künstler, Theaterautor und Regisseur mit Kolonialismus, Körper, Zeit und der Interaktion von menschlichem und tierischem Leben beschäftigt. Die Arbeit lässt ganz unterschiedliche kulturhistorische Assoziationen zu. Sie erinnert an Gemälde der flämischen Meister des Spätmittelalters und ihre Faszination für das Kleine und die Detailtreue in der Darstellung von Oberflächen, Pflanzen und Tieren, aber auch an Vanitas Symbole in der barocken Malerei. Die Form und das Material wiederum lassen Ritualgegenstände und Trophäen assoziieren, und die Verbindung von Käfer und Mensch ist aus der Literatur bekannt, aus Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“.

Auch Carsten Nicolai arbeitet interdisziplinär. Er agiert nicht nur im Bereich der bildenden Kunst, sondern ist als DJ unter dem Namen alva noto bekannt. Seine Arbeit Wellenwanne zeigt sein Interesse für Einfachheit und technische Komplexität, für Ton, Bild und Raum. Aus drei Tonfrequenzen entstehen durch unter dem Bassin stehende Lautsprecher Wellen und Ringe auf der Wasseroberfläche, vergängliche Strukturen und Muster, Bilder, die wir aus unserer Erfahrung mit der Umwelt kennen und deren künstliche Erzeugung ihre Komplexität sichtbar macht.

Beobachtung und Wahrnehmung sind Themen, die in Edith Dekyndts Arbeiten immer wieder auftauchen, zum Beispiel in Form eines frei im Raum schwebenden Ballons, Major Tom, oder des Videos One Minute of Silence, die auch zur Sammlung des Frac Alsace gehören. In ihren Zeichnungen verbinden sich zarte Linien mit robustem Hadernpapier und erinnern an Höhenlinien, Karten und Landschaften. Durch die Faltung des Papiers entsteht ein Relief, in dem der Raum der Zeichnung in den realen Raum übergeht.

Kuratorin : Felizitas Diering.

1 Vgl: Marc Couturier im Interview mit Hervé Chandès. In: Frac Alsace (Hg.): Marc Couturier [Ausstellungskatalog]. Illkirch: le Verger éd. 1992.
2 Vgl. Deborah Hustic/Bodypixel (Hg./Blog): Interview with Jan Fabre: insects are the oldest computers. 2008.

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